Liebe Eltern,
wer schon einmal neben einem “Knirscher” die Nacht verbracht hat, weiß, dass der menschliche Kauapparat im Schlaf zu enormen (Fehl-) Leistungen fähig ist. Beim Zähneknirschen wirken Kräfte von ca. 480 kg/cm2, das entspricht dem Zehnfachen des normalen Kaudruckes. Die dabei entstehenden Geräusche bringen den Partner nicht selten um den Schlaf. Doch worin sind die Ursachen für das Zähneknirschen zu suchen? Einerseits gelten anatomische Gegebenheiten, Fehlstellungen oder Verlust von Zähnen aber auch schlechtsitzender Zahnersatz als Verursacher.
Bei den Überlegungen zur ganzheitlichen Betrachtung des Zähneknirschens bin ich über den lateinischen Begriff “Bruxismus” auf eine Redewendung gestoßen, mit der schon Martin Luther 1525 nach Erklärungen und Ursachen dafür suchte. ” Mit Heulen und Zähneknirschen ” übersetzte er mit Wehklagen und unterdrückten Ärger mit Entsetzen und Flucht. In der Literatur finden sich im Zusammenhang damit auch Empfindungen wie Kälte, Wut, Angst und Bedrohung. In der Gegenwart wird diese Redewendung ebenso wie “…auf dem Zahnfleisch kriechen” , “sich in etwas verbeißen” oder “zähneknirschend eingestehen” umgangssprachlich verwendet und häufig scherzhaft gemeint. Dahinter steckt jedoch die ernstzunehmende Tatsache, dass eine enge ursächliche Verknüpfung psychischer und seelischer Beschwerden mit Parafunktionen des Kauapparates besteht. Dazu gehören neben den Zähnen alle am Kauvorgang beteiligten Organe, Gewebe und Strukturen. Empfindungen wie Stress, Angst, Selbstzweifel, Perfektionismus aber auch Wut oder Aggression können die Spannung der Kiefermuskulatur erhöhen. Dieser Vorgang wird über ein Nervengeflecht gesteuert, dass unsere Gefühle, die Motorik und andere Funktionen reguliert. Diese Verknüpfung mit der Kiefermuskulatur führt dazu, dass der erhöhte Spannungszustand durch Bewegung abgebaut bzw. gelöst wird. Eigentlich ist das ein guter Regulationsmechanismus, wären da nicht die Zähne im Weg. Diese sind besonders an den prominenten Strukturen (Höckern) verschleißgefährdet. Es kann zu unterschiedlich starken Abnutzungen und anderen Folgeerkrankugen kommen.
Abhilfe bietet eine vom Zahnarzt / Zahnärztin angepasste Schiene. Diese “Knirscherschiene”schützt die Zähne vor Abrasion und weiteren Folgeschäden, eine ursächliche Therapie gegen das Zähneknirschen ist sie jedoch nicht. Bei ausgeprägter Dysfunktion, die häufig auch mit Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Nackenverspannungen, Kiefergelenk -Knacken, Tinnitus und anderen Krankheitsbildern einhergeht, empfiehlt es sich, darauf spezialisierte Zahnärzte/Zahnärztinnen aufzusuchen. Diese werden eine sog. Funktionsanalyse durchführen, die es gestattet, die individuelle Mund – und Kiefersituation exakt zu beurteilen. Zur Wiederherstellung der sensiblen Balance des Kauapparates ist mitunter eine interdisziplinäre Zusammenarbeit unumgänglich. Für den betroffenen
Patienten bedeutet das u.U. einen langen Behandlungsweg mit Konsultation verschiedener Fachärzte/ Fachärztinnen aber auch die Hoffnung und Aussicht auf Beseitigung der Ursachen und Linderung der Beschwerden.
In meinem nächsten Beitrag widme ich mich dem Zähneknirschen bei Kindern.
Ihre Ute Wurzler