Entdeckungsreise mit einem Tonklumpen

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Ein Nachmittag mit Xenia, Finn und einem Klumpen Modellierton. Für uns drei wurde daraus eine Entdeckungsreise, in der das Lernen im Erleben verborgen lag. Meine pädagogische Leitlinie gewann einen wichtigen Aspekt und die Beiden hatten ein beeindruckendes Spielerlebnis.

Vor vielen Jahren, als ich im Karlsruher Waldkindergarten „Wind und Wetter Knirpse“ arbeitete, erlebte ich eine Situation, die zur Entwicklung meiner beruflichen Leitlinie wesentlich beitrug. Nachfolgend schildere ich die Begebenheit, abschließend fasse ich kurz zusammen was ich daraus lernte.

An einem Nachmittag warteten Xenia und Finn mit mir in unserem Bauwagen, wir hatten noch Zeit bis sie von ihren Eltern abgeholt wurden. Wir saßen am Tisch auf dem ein großer Drei-Kilo-Klumpen Modellierton lag.

„Was ist das?“ „Wozu braucht man das?“ Noch während ich die Fragen der Kinder beantwortete, begannen sie schon neugierig den Ton zu befühlen und kleine Teile abzureißen. Ich lehnte mich zurück und ließ die beiden ihre eigene Entdeckungsreise beginnen.

Die Kinder saßen sich gegenüber, jedes Kind begann auf seiner Seite des Tonklumpens weitere Stücke abzureißen. Die Stücke wurden von den Kindern unterschiedlich ausgeformt und geknetet. Anfangs noch unbestimmt forschend und entdeckend, begannen die Kinder bald Kugeln, Würste und Fladen zu gestalten. Mit Begeisterung wurde jede neue Form mitgeteilt: „Robert schau mal hier, ich habe einen Fladen gemacht!“, „Und ich habe schon ganz viele Würstchen gerollt.“ Eine beachtliche Menge unterschiedlicher Formen lag vor jedem Kind.

Finn begann die Würstchen zu stapeln, Xenia hatte eine Figur aus mehreren Kugeln geformt. Schon bald entstanden weitere Figuren, ein Haus in das die Knetfigurenfamilie einzog um darin zu wohnen. Die Geschichte der beiden begann sich zu entfalten, sie formten, erzählten und spielten, dabei für mich beeindruckend, bauten sie im Gleichklang ihrer Geschichte erst weitere Räume an das Haus und später einen Stall für das geformte Pferd. Zu zweit entwickelten die beiden eine aufwendig gestaltete Landschaft.

Ich konnte dem dialogisch mäandernden Entdecken, Erforschen, Erfinden und Erleben der Kinder nahe sein, denn sie schenkten meiner Anwesenheit kaum noch Beachtung.
Nach einer halben Stunde kamen die Eltern von Xenia und Finn. Gerne hätten die beiden ihr Spiel noch weiter ausgeführt.

In der hier beschriebenen Situation ist unter der vermeintlich einfachen Handlung der Kinder ein vielschichtiges und komplexes Lernen und Erleben verborgen gewesen. Die Ideen regten Handlungen an und die wiederum führten zu neuen Ideen. Nicht das Material war entscheidend, vielmehr der Raum und die Zeit, welche den Kindern freigegeben wurde, um sich ungestört auszudrücken.

Wenn wir uns an unsere eigene Kindheit erinnern, können wir vielleicht Erlebnisse wiederfinden, die als tiefe Eindrücke bis heute Bestand haben. Erinnern Sie sich noch an Situationen in den Sie als Kind ganz versunken im Spiel waren? Ich erinnere mich sehr gerne, an ausgiebiges Sandburgenbauen im Familienurlaub am Strand der Insel Hiddensee.

Selbstkreierte Spiele sind immer auch Lerneinladungen mit überraschenden Lerninhalten. In der Schule lernen Kinder vorrangig durch Themen, Methoden und Lernwege, die vorgegeben werden. Wirkungsvoller lernen Kinder durch selbstbestimmtes Entdecken und Anwenden. Selbstbestimmt steht hierbei vor allem für eigene Geschwindigkeit, Intensität und Deutungshoheit der Handlungen. Durch das Lernen in Erlebnissen eröffnen sich Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die aufgrund der eigenen Motivation des Kindes, sich wirklich zu eigen gemacht worden sind.

Um eine entwicklungsförderliche Intensität des Spielens zu erreichen, ist es wichtig, dass wir als Bezugspersonen die Aufgabe wahrnehmen, den Kindern regelmäßig dafür Räume und Zeiten zu ermöglichen. So einfach es klingt, so schwer ist die Umsetzung.

Was für die Zeit des Spiels dafür von uns Eltern manchmal beiseitegelassen werden sollte, ist:
Die Absicht ständig erzieherisch oder bildend zu wirken. Das bedeutet, dem Kind nicht ständig einen Zweck für sein Handeln aufzuzeigen oder Verhaltensempfehlungen auszusprechen.
Die komplette visuelle und akustische Ausgestaltung der Kinderzimmer. Sie führt dazu, dass Kinder in schon vorgefertigten Räumen intuitive, spontane und temporäre Gestaltungen entlang ihres Spiels nur noch begrenzt umsetzen.

Eigene Alltagspläne und Aufgaben während der Spielzeit der Kinder ruhenlassen. Diese können sonst dazu führen, dass wir Eltern eilig und ungeduldig sind. Besser ist es, die Spielzeit bewusst in unseren Alltag einzuplanen, wodurch wir den Kindern ungestörte und intensive Momente schenken.

Ich bin davon überzeugt, dass Kinder, die regelmäßig die Chance auf oben ausgeführte Erfahrungen haben, sich Räume eröffnen und Wege bahnen, die ihr Denken und Handeln bereichern. Mit den Erfahrungen der selbstgestalteten Erlebnisse gewinnen die Kinder Stärke, ihr Vertrauen beruht darin, dass sie ihre eigenen Talente wahrnehmen und lernen diese einzusetzen und zu entwickeln.

Dazu müssen Sie Liebe Eltern, gar nicht viel tun – ein gepflegtes „sich zurücklehnen“ und die Kinder einfach mal machen lassen ist die beste Unterstützung.

Ihr Robert Casel

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