Interview mit Professor (hon). Dr. Michael Heise – Chefökonom HQ Trust Wie entwickeln sich Inflation und Zinsen im Euroraum? Dr. Michael Heise, der frühere Chefvolkswirt der Allianz, der heute u.a. als Berater des Multi-Family Office HQ Trust und Honorarprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main tätig ist, ist ein ausgewiesener Kenner der internationalen Wirtschafts- und Finanzmärkte. Er gibt Antworten.
Sparer bekommen seit langem keine Zinsen und leiden darunter, während sich Baufamilien über die niedrigen Zinsen freuen. Naht nun die Trendwende?
Es ist damit zu rechnen, dass die Konjunktur anspringt und die Preise steigen werden. Wann und wie stark sie anspringt, hängt wiederum vom Fortgang der Pandemie ab und davon, wie rasch die Impfungen gegen Covid-19 voranschreiten. Das erlaubt dann eine Lockerung der staatlichen Einschränkungen und einen wirtschaftlichen Neustart in Bereichen, wo heute nichts geht. Ich rechne für 2021 und 2022 auch aufgrund einer hohen aufgestauten Nachfrage mit einer kräftigen Konjunkturerholung.
Was für höhere Preise und Zinsen in der Europäischen Wirtschaftsunion spricht.
Nach dem deutlichen Rückgang der Inflationsraten im Zuge der Corona-Krise dürfte hier die Inflationsrate in den nächsten zwei Jahren auch wegen steigender Energiepreise im Durchschnitt bei zwei Prozent liegen. In Deutschland wird sie vermutlich im zweiten Halbjahr 2021 auf drei Prozent steigen. Hier macht sich die Rücknahme der zwischenzeitlich abgesenkten Mehrwertsteuer bemerkbar. Im Jahresdurchschnitt 2022 wird dieser Effekt die Inflationsrate aber vermutlich wieder auf zwei Prozent absinken lassen.
Mit großen Zinssprüngen nach oben rechnen Sie also kurzfristig nicht?
Bei den Notenbankzinsen sehe ich vorerst keine Änderungen. Weder die US-Notenbank,
geschweige denn die Europäische Zentralbank, die EZB, haben Anzeichen eines geldpolitischen Kurswechsels erkennen lassen. Sie betonen die wirtschaftlichen Unsicherheiten durch die Pandemie und die Folgewirkungen auf den Arbeitsmarkt sowie strukturelle Änderungen in der Wirtschaft. Selbst Inflationsraten über dem Zwei-Prozent-Ziel der EZB würden wohl eine Zeit lang toleriert…
…und kämen den Finanzministern gar nicht ungelegen.
Genau. Die Staatsverschuldung steigt und steigt. Niedrige Zinsen freuen die Finanzminister. Höhere Inflationsraten sind zur Minderung der staatlichen Schuldenlast sogar erwünscht. Ein gewisses Risiko für die Schuldner besteht allerdings darin, dass die Zinsen am Kapitalmarkt weiter steigen könnten. Zweieinhalb Prozent für 10-jährige Staatsanleihen in den USA und plus 0,5 Prozent für deutsche Bundesanleihen – nach etwa minus 0,3 Prozent zurzeit – dürften in einem Konjunkturaufschwung nicht unrealistisch sein.
Und wie schätzen Sie die längerfristige Entwicklung ein?
Eine durchgreifende Sparpolitik zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist auch mittelfristig nicht zu erwarten. Die Regierungen werden sich vielmehr mit einem wachsenden Ausgabenbedarf aufgrund der demografischen Entwicklung konfrontiert sehen: mit höheren Rentenzahlungen und höheren Gesundheitskosten. Die Impulse der Notenbanken und die Geldtransfers der Staaten lassen die Geldmenge weiter anwachsen. In der Wirtschaftsgeschichte sind derart hohe Geldmengenzuwächse stets von höherer Inflation begleitet worden.
Hinzukommen, wie Sie kürzlich erwähnt haben, weltwirtschaftliche Trends…
Ja. In den wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt – in Nordamerika, Europa, China und Japan – wird die Zahl der Erwerbstätigen sinken. Gleichzeitig steigt die Zahl älterer Menschen, die von Renten, Pensionen oder ihrem Ersparten leben, deutlich an. Der demografische Trend der letzten Jahrzehnte kehrt sich hier um. Eine relativ hohe Nachfrage wird auf ein knapperes Angebot treffen. Das lässt die Preise klettern. Wenn die sogenannte Sparschwemme, zumindest auf globaler Ebene, der Vergangenheit angehört, werden auch die Zinsen tendenziell steigen. Auf die Sicht von ein oder zwei Jahrzehnten sind also aufgrund der demografischen Entwicklung wieder deutlich höhere Nominalzinsen und positive Realzinsen zu erwarten.
Gut für die Sparer, wenn es dazu kommt.
Stimmt.
Und für den, der heute oder morgen vielleicht ein Haus bauen oder kaufen will?
Der sollte sich fragen, wie lange er braucht, um seinen Kredit zurückzuzahlen und ob er
sich dabei auf dauerhaft niedrige Zinsen verlassen will.