In der Adventszeit ist in der Kerzenabteilung viel Betrieb. Man braucht Kerzen für den Adventskranz, für die Adventsgestecke, für die Weihnachtsbäume. Es gibt aber auch viele Kerzen: Runde, dicke, dünne, schmale, dreieckige, viereckige, krumme und gerade. Bunte, karierte, gestreifte, mit Bild und ohne Bild. Duftkerzen, Bienenwachskerzen und Wasserkerzen. Alle stehen sie in ihren Regalen und warten darauf, dass sie gekauft werden. Eines Tages aber passierte in einem großen Kaufhaus in der Kerzenabteilung etwas Sonderbares.
Eine Verkäuferin kam mit ein paar großen vollgepackten Schachteln und füllte die Regale mit neuen Kerzen auf. Es waren alles schöne Kerzen, nur eine Kerze war für ihre Begriffe nichts Besonderes. Es war eine weiße fingerdicke und eßgabellange Kerze mit einem kleinen gelben Bethlehemsstern darauf. Sie räumte den Müll beiseite und würdigte die kleine weiße Kerze keines Blickes mehr.
Die kleine weiße Kerze war mit ihrem neuen Zuhause gar nicht zufrieden. Denn sie spürte die abweisenden Blicke und vernahm das Tuscheln der anderen Kerzen hinter ihrem Rücken. Dann dauerte es auch nicht mehr lange, und sie wurde von der Kerze an ihrer rechten Seite angestoßen.
„He du da! Meinst du nicht, dass du auf dem falschen Platz stehst?“
Bevor sie antworten konnte, wurde sie auch von der Kerze an ihrer linken Seite angerempelt.
„Mach dich nicht so breit! Das ist unser Platz!“
Die kleine weiße Kerze bekam Angst, denn plötzlich rückten alle schönen Kerzen an sie heran. Und weil sie große Bange hatte und nicht mehr wusste wohin, kippte sie nach vorne über und plumpste auf den Boden. Die anderen Kerzen lachten spöttisch hinterher. Die kleine weiße Kerze dachte: „Nichts wie weg!“, und rollte zur Eingangstür hinaus, entlang am Straßenrand. Sie wäre noch lange so weiter gerollt und bestimmt im nächsten Straßengulli gelandet, hätte sie nicht ein kleines Mädchen gesehen und aufgefangen.
„Was machst du schon wieder?“, rief die Mutter der trödelnden Tochter zu.
„Ich komm ja schon!“, antwortete das Mädchen und steckte die kleine weiße Kerze mit dem Bethlehemsstern darauf in ihre Jackentasche.
Aber dort gefiel es der kleinen weißen Kerze ganz und gar nicht. Und sie hätte sich gleich aus den Staub gemacht, würde das Mädchen mit ihren Fingern sie nicht immer in der Jackentasche hin- und her schubsen.
Doch dann holte sie die Kerze aus ihrer Tasche hervor und betrachtete ihr Fundstück genauer. Da sie aber nichts Schönes an der Kerze fand, warf sie sie einfach im hohen Bogen auf die gegenüberliegende festgeforene Rasenfläche.
„Nun ja!“, seufzte die kleine weiße Kerze. „Dann such ich mir eben selber einen Platz, wo man mich als Kerzenlicht nötig hat!“
Aber dazu kam es nicht. Denn plötzlich spürte sie, wie sie von allen Seiten beschnuppert wurde. Dann stieß sie jemand leicht an und dann immer heftiger, so dass sie mit Schwung einen Hügel hinunter rollte.
Als sie zum Liegen kam, griff wieder jemand mit großen Pfoten nach ihr und tollte mit ihr auf der Wiese herum. Plötzlich hörte man einen Ruf, und der Hund hob seinen Kopf und spitzte seine Ohren.
„Aika, komm her!“
So schnell wie er gekommen war, war er wieder verschwunden. Die kleine weiße Kerze war froh darüber.
Aber wohin jetzt? Sie ahnte nicht, dass sie auf dem Vorplatz zu einer großen Kirche gelandet war. Gerade ging die mächtige Portaltür auf.
Ins Freie trat eine ältere mollige Frau, die beinahe auf die Kerze getreten wäre, hätte sie sie nicht im letzten Moment gesehen. Sie steckte sie in ihre Schürzentasche. Die Frau war damit beschäftigt die Kirche festlich für den ´Heiligen Abend` zu schmücken.
Erst gegen Abend, als sie auf den großen Christbaum hinter der Weihnachtskrippe rote Kerzen anbrachte, fiel ihr wieder die gefundene Kerze ein. Denn in der Mitte des Baumes fehlte noch etwas. Und da passte sehr gut die kleine weiße Kerze mit dem Bethlehemstern.
Die kleine weiße Kerze fühlte sich zum ersten Mal am richti
gen Ort und an der richtigen Stelle. Zusammen mit den anderen Kerzen konnte sie nun strahlen, wie einst der Stern über dem Stall von Bethlehem.
Anneliese Kranzberger