Liebe Eltern, in meinem letzten Beitrag habe ich über das Zähneknirschen berichtet. Diese Fehlfunktion des Kauapparates kann bei Erwachsenen das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen und zu ernsthaften Krankheitsbildern führen. Das Zähneknirschen bei Kindern ist dagegen anders zu bewerten.
Das kindliche Gebiss ist über größere Zeiträume unvollständig. Es gibt Phasen, in denen Zähne noch im Kiefer verharren, sich gerade im Durchbruch befinden oder auch schon wieder ausgefallen sind. Die Zahnreihen sind lückig und es gibt Zähne, die keinen gegenüberliegenden Partner haben, sie hängen praktisch ” in der Luft “. Auch die Kiefer ( Ober- und Unterkiefer) verändern ihre Position zueinander im Laufe der ersten Lebensjahre. Während sich der Unterkiefer zum Zeitpunkt der Geburt in einer deutlichen Rücklage befindet (Neugeborenenrückbiss), entwickelt er sich bis zum Durchbruch der bleibenden Zähne in eine sogenannte Neutralposition. Die Jahre der kindlichen Entwicklung sind geprägt von Wachstum, Bewegung und Veränderung. Das betrifft nicht nur den Kauapparat, sondern den ganzen Körper. Vieles muss sich herausbilden, neu fügen und in Einklang bringen. Dazwischen gibt es immer wieder Phasen, in denen wir als Eltern Dinge an unseren Kindern beobachten, die irgendwann auch wieder verschwinden. Dazu zählt in den meisten Fällen das Zähneknirschen. Der Beginn des Knirschens bei Kindern fällt häufig in die Zeit des „ Zahnens“, weil die Kinder die gerade durchgebrochenen Zähne als Fremdkörper empfinden und sich an die neue Situation im Mund erst gewöhnen müssen. Sie probieren die Zähne aus und erleben, dass sie Geräusche damit verursachen können. Das ist ein entwicklungsbedingtes normales Phänomen während der ersten Lebensjahre. Die physiologischen und anatomischen Gegebenheiten sind irgendwann in Balance, in der Regel dann, wenn das Milchgebiss vollständig ausgebildet ist und alle Zähne an ihrem Platz stehen.
Bis zu 30% aller Kinder knirschen jedoch auch nach dem 3. Geburtstag mit den Zähnen. Das Knirschen findet häufig unbewusst statt, manchmal auch ohne erkennbare Ursache. In einigen Fällen kann es auch tagsüber zur Angewohnheit werden, dann empfiehlt es sich, das Kind darauf hinzuweisen.
Wie bei den Erwachsenen gibt es auch bei Kindern einen Zusammenhang mit dem seelischen Erleben des Kindes. Kinder verarbeiten vieles im Schlaf und entwickeln auch Angewohnheiten zum Stressabbau. Dazu gehören neben dem Zähneknirschen z.B. auch das Nuckeln am Daumen, Fingern, Bettzipfeln oder Schmusetüchern. In Phasen innerer Unruhe ist es ratsam, äußere Ruhe herzustellen. Dazu gehören eine ungestörte Nachtruhe mit Ritualen, die dem Kind Sicherheit und Vertrauen geben, ebenso wie ein reduzierter Medienkonsum.
Häufig verlieren sich diese Angewohnheiten von selbst, wenn die stressauslösenden Umstände verschwunden sind oder das Kind sich adaptiert hat. Als mögliche Auslöser wären Veränderungen im häuslichen Umfeld zu nennen (z.B. Umzug, Trennung der Eltern, neue Partner eines oder beider Elternteile, hinzukommende Geschwisterkinder) oder auch Eintritt in die Kindertagesstätte, Veränderungen in der Gruppenzusammensetzung oder des Betreuungspersonals. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst das Vermögen des Kindes, Veränderungen zu tolerieren oder sich an diese zu gewöhnen. Deshalb ist es wichtig, unsere Kinder so zu begleiten und zu unterstützen, dass sie eine stabile Resilienz entwickeln können. Unter dieser Voraussetzung werden sich die meisten Parafunktionen im frühen Kindesalter irgendwann verlieren.
Trotzdem gibt es natürlich auch Fehlfunktionen oder schlechte Angewohnheiten, die sich verselbständigen und nicht von allein verschwinden. Sollten Sie dies beobachten, suchen Sie mit Ihrem Kind einen Zahnarzt auf. Das gleiche gilt, wenn die Zähne Ihres Kindes empfindlich oder schmerzhaft reagieren sollten. Auch im Milchgebiss gibt es schon die Möglichkeit einer Schienen-Therapie.
Falls Fehlstellungen der Zähne, anatomische oder funktionelle Störungen zu anhaltendem Zähneknirschen führen, bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Zahnärzten, Kieferorthopäden, Kinderärzten und nicht selten auch Psychologen.
Ihre Dr. Ute Wurzler